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Dr. Carl Strutinski
Zwei Jahrhunderte Geologie
Von Abraham Gottlieb Werner zu Samuel Warren Carey
„By the time plate tectonics was developed in 1967 the ocean basins were better known geophysically than the continents. Had they not been, there would have been no plate tectonics.”
(Henry William Menard, 1986)
Plattentektonik
(Zusammenspiel zwischen Ozeanbodenspreizung und Subduktion)
Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung der Ozeanisierungshypothese Beloussovs erschienen in Amerika zwei Aufsätze von Robert Sinclair Dietz (1914 – 1995) und von Harry Hammond Hess (1906 - 1969), die in eine völlig andere Richtung wiesen und zur teilweisen Rehabilitierung der Kontinentverschiebungshypothese Wegeners beitragen sollten. Die ozeanographischen Untersuchungen der vierziger und fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hatten nicht nur das weltweite System der Mittelozeanischen Rücken (MOR) bestätigt, sondern auch den erhöhten Wärmefluss entlang dieser Rücken festgestellt. Außerdem hatte man in Erfahrung gebracht, dass die Sedimentdecke der Ozeanböden äußerst dünn war, was auf ein relativ junges Alter der Ozeane schließen ließ. All diese Fakten wurden von Hess und Dietz in dem Sinne interpretiert, dass sie, auf die alten Unterströmungshypothesen zurückgreifend, Konvektionsströme im Erdmantel annahmen, deren aufsteigende Äste den Ozeanboden heben und entlang der MOR Mantelmaterial ausfließen lassen, das dort zum Erstarren kommt. Der Ausbruch dieses kontinuierlich von unten zutage geförderten Materials basaltischer Zusammensetzung verursacht das Bersten der schon verfestigten Kruste und das Auseinanderdriften der resultierenden Krustenränder, somit die Ausweitung des betreffenden Ozeans. Die Hypothese der Ozeanbodenspreizung war geboren (der deutsche Begriff Ozeanbodenspreizung entspricht dem englischen seafloor spreading, der von Dietz geprägt wurde). Im Unterschied zu Wegener, der angenommen hatte, dass sich die Kontinente frei auf ihrem Untergrund fortbewegen, diesen quasi „durchpflügen“, gingen Hess und Dietz davon aus, dass kontinentale und ozeanische Kruste gleichermaßen passiv auf den advektiven (horizontal verlaufenden) Teilen der von ihnen im oberen Mantel angenommenen Konvektionswalzen verfrachtet werden. Es würde also im konkreten Falle des Atlantischen Ozeans nicht der Untergrund durch die Westdrift der beiden Amerikas freigelegt (Wegener), sondern der Ozean durch Spreizung erzeugt, wobei die Kontinentalschollen (in diesem Falle die beiden Amerikas einerseits, Europa und Afrika andererseits) immer weiter auseinander geschoben werden. Gleichfalls wurde angenommen, dass der Ozeanboden und die auf ihm abgelagerten Sedimente umso älter sein müssten, je weiter entfernt sie sich von den MOR befänden. Da das „Wachsen“ der Ozeane auf einer Erde von angenommen gleich bleibendem Durchmesser nur dann möglich ist, wenn anderswo durch Kompensierung alte ozeanische Kruste „verschluckt“ wird bzw. zurück in den Mantel wandert, wurde vermutet, dass dieser Prozess auch tatsächlich entlang der absteigenden Äste der Konvektionswalzen stattfindet und zwar spätestens 200 Millionen Jahre nach Entstehen dieser Kruste. Zeugen dieses Prozesses seien die Wadati-Benioff Zonen – das sind Zonen intensiver Erdbebetätigkeit, die entlang der Grenze zwischen Kontinent und Ozean letzteren schräg unter ersteren tauchen. Diese Regionen stellten schon für einen ihrer Entdecker, Hugo Benioff (1899-1968), Zonen dar, entlang deren Kontinentalschollen die ozeanischen überschieben. Als Oberflächenausdruck der abtauchenden ozeanischen Kruste wurden die Tiefseegräben betrachtet, die besonders entlang der Ränder des Stillen Ozeans lokalisiert sind.

Es war das Zweigespann der Briten Frederick Vine (geb. 1939) und Drummond Matthews (1931 – 1997) von der Cambridge University, das der Hypothese 1963 zum Durchbruch verhelfen sollte. Schon Jahre zuvor hatten Geophysiker mit Verwunderung festgestellt, dass, im Unterschied zu Kontinenten, der ozeanische Raum von einem zebrastreifenartigen Muster magnetischer Anomalien bedeckt ist, dessen Erklärung vorerst rätselhaft erschien. Zudem bemerkte man, dass die Streifen zu den mittelozeanischen Rücken parallel verlaufen.
Das Streifenmuster der magnetischen Anomalien in drei aufeinanderfolgenden Entwicklungsstadien
(aus Wikipedia „Ozeanbodenspreizung“)
Das hat die beiden Briten veranlasst, die Hypothese aufzustellen, dass die Erde im Laufe ihrer Entwicklung unzählige Umpolungen ihres Magnetfeldes erfahren hat – die Idee von der Umpolung war etwas früher in der Fachwelt aufgetaucht – und dass das Streifenmuster durch basaltische Gesteine hervorgerufen wird, die bei ihrer Entstehung entlang der MOR dem gerade existierenden Magnetfeld entsprechend polarisiert wurden. Die Bildung des Streifenmusters wird von Carey (1988) folgendermaßen beschrieben:

„Die Basalte, die entlang des Zentralrifts eines mittelozeanischen Rückens neu entstehen, werden bei ihrer Abkühlung unter den Curie-Punkt (1) gemäß dem vorherrschenden Feld magnetisiert. Während Zeiten normaler Polarität (2) werden neu entstandene Basalte normal, während Zeiten umgekehrter Polarität jedoch umgekehrt magnetisiert, bis nach einer Million Jahren oder mehr die Polarität sich erneut umkehrt. Da inmitten des Rifts (3) … immer neue Basaltmassen aufdringen, die die vorher entstandenen schon erkalteten Basalte auseinander sprengen, teilen sich mit diesen auch die Streifen der magnetischen Anomalien und zwar spiegelbildlich in Bezug auf das Rift.“

Gemäß dieser Sicht stellen also Ozeane Gebilde dar, deren Untergrund sich entlang der Riftzonen ständig erneuert, sich ausweitet und spätestens nach 200 Ma (4) entlang der Tiefseegräben wieder abtaucht. Dessen ganze Entstehungsgeschichte wird in den magnetischen Streifenmustern festgehalten.

Die Hypothese der Ozeanbodenspreizung wurde in den folgenden vier, fünf Jahren extrem schnell akzeptiert, ergänzt und zur Hypothese der Plattetektonik ausgebaut. Dazu hat eine große Anzahl von Forschern beigetragen, unter denen die folgenden zu nennen sind: der Kanadier John Tuzo-Wilson (1908 – 1993), die Engländer Dan McKenzie (geb. 1942) und Robert L. Parker (geb. 1942), die Amerikaner Jason Morgan (geb. 1935), Bryan Isacks (geb. 1936), Jack Oliver (1923-2011), und Lynn R. Sykes (geb. 1937) sowie der Franzose Xavier Le Pichon (geb. 1937). Genau wie Vine und Matthews waren die meisten von ihnen junge, kürzlich von der Universität abgegangene Leute, die die „ketzerischen“ Ideen der - eine Generation älteren - Hess und Dietz mit Enthusiasmus aufnahmen, verinnerlichten und zu einem theoretischen Gerüst entwickelten, das trotz seiner Anschaulichkeit jedoch seine Schwächen hat. In solcher Gesellschaft war der Veteran Tuzo-Wilson eher die Ausnahme, und es sollte zu denken geben, wenn über ihn gesagt wird, dass er innerhalb von nur fünf Jahren das Kunststück vollbrachte, vom Anhänger der Kontraktionshypothese erst zum Befürworter der gegenteiligen Expansionshypothese und dann schließlich zu einem der eifrigsten Verfechter der Ozeanbodenspreizung und der Plattentektonik zu werden (Storetvedt, 2003).

Tuzo-Wilsons Name ist mit drei fundamentalen Begriffen der Hypothese der Plattentektonik verbuden: Hotspots, Transform-Störungen und schließlich dem nach ihm benannten Wilson-Zyklus.

1963 hat Tuzo-Wilson einen Aufsatz in einer kanadischen Zeitschrift veröffentlicht, in dem er, den Gedanken der Ozeanbodenspreizung aufgreifend, die Ansicht vertrat, dass sich die vulkanischen Hawaii-Inseln im Pazifik über einem Manteldiapir, d.h. einer Art zylindrischem, vertikalem, ortsfestem Schlot befänden, durch den kontinuierlich Material aus dem tieferen Mantel an die Oberfläche befördert wird, welches die Inseln aufbaut. Die Hawaii-Inseln würden solcherart einen so genannten „hot spot“ („heißen Fleck“) darstellen. Da sich, laut Hypothese der Ozeanbodenspreizung, die Kruste des Westpazifik nach Nordwest fortbewegt, der Manteldiapir aber ortsfest ist, hat das zur Folge, dass ein bestimmter ozeanischer Flecken nur beschränkte Zeit über diesem Manteldiapir verbleibt, also als „heißer Flecken“ fungieren kann, worauf er mit der Gesamtheit der Kruste weiterwandert. Es fände also eine Migration der vulkanischen Inseln statt, die ihre Existenz dem Manteldiapir verdankten. So konnte zum einen die Existenz der Hawaii-Inseln mitten im Ozean, zum anderen die Anordnung der Inseln auf dem Hawaii-Rücken mit der Ozeanbodenspreizung in Einklang gebracht werden. Ließe sich die Existenz des Manteldiapirs nachweisen, wäre das dann ein unumstößlicher Beweis für die Ozeanbodenspreizung.
(1) 578°C

(2) Zeiten normaler Polarität sind diejenigen während deren der magnetische Nordpol dem geographischen Nordpol entspricht, wie beispielsweise heutzutage. In Zeiten umgekehrter Polarität hingegen, entspricht dem magnetischen Nordpol der geographische Südpol.

(3) Das Rift ist der Graben im zentralen Teil eines mittelozeanischen Rückens

(4) Ma = Millionen Jahre
Der Hawaii-Rücken mitten im Pazifik. Im oberen Bild rechts wird die Bewegungsrichtung der Pazifischen Platte angezeigt. Im unteren Profilbild sieht man den Manteldiapir, der die Enstehung des Rückens veranlasst hat. Es sind auch die Alter der jeweiligen Inseln verzeichnet
(Aus Wikipedia „Hawaii-Emperor-Kette“)
Was die mittelozeanischen Rücken betrifft, hatten schon Forscher vor Tuzo-Wilson festgestellt, dass sie in mehr oder weniger großen Abständen von einem quasi-orthogonalen System von Störungen versetzt erscheinen, die als Horizontal-, Seiten- oder Blattverschiebungen aufgefasst wurden (5). Das hieß, dass entlang dieser Störungen ein anfänglich kontinuierlicher MOR durch Bruch getrennt wurde und die entstandenen Enden sich in entgegengesetzte Richtungen voneinander entfernten (folgende Abb. a).

Im Einklang mit der Ozeanbodenspreizungs-Hypothese wies nun Wilson (1965) darauf hin, dass es sich hier nicht um normale Horizontalverschiebungen, also nicht um transcurrent faults, sondern um „eine neue Klasse von Brüchen“ handle, die er Transform-Störungen (englisch transform faults) nannte. Den Unterschied gibt die Abbildung (nach Bleahu, 1983) wieder.
Entsprechend dieser Meinung würden die MOR nie über längere Strecken kontinuierlich existiert haben, sondern schon von Anfang an entlang mehr oder weniger alter Störungszonen versetzt entstanden sein. Diese Störungszonen wären eigentlich in ihrem heutigen Zustand nur noch in dem Abschnitt zwischen je zwei MOR-Enden aktiv, um die Ozeanbodenspreizung zu gewährleisten. In Abbildung „b“ sieht man, dass nur in diesem Segment die Bewegungsrichtungen entgegengesetzt sind. Dass die Geschwindigkeit der Spreizung in zwei benachbarten MOR-Abschnitten höchst unterschiedlich sein könnte und damit Unterschiede der Geschwindigkeit und der relativen Bewegungsrichtung der Krustenteile auch außerhalb des Zentral-Segments einer Transform-Störung auftreten müssten, wurde nicht thematisiert.
(5) In der englischsprachigen Literatur spricht man meist von strike-slip faults, wrench-faults oder transcurrent faults.
Veranschaulichung des Unterschieds zwischen Seitenverschiebungen (a) und Transform-Störungen (b). Nachgezeichnet nach Bleahu, 1983)
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