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Dr. Carl Strutinski
Zwei Jahrhunderte Geologie
Von Abraham Gottlieb Werner zu Samuel Warren Carey
c. Hypothese der Kontinentverschiebung (Drifthypothese)
Im oberen Teil der Gefälle kann weiterhin Abtragung des zu Tage geförderten Untergrundes erfolgen, und es entstehen Zerrungen, wodurch Magmaflüssen der Aufstieg ermöglicht wird.

Ganz wichtig ist für Haarmann die Feststellung, dass Kompressionstektogene zum Zeitpunkt ihrer Bildung immer tiefer als ihr Rückland gelegen haben. Das bedeutet, dass seiner Meinung nach die Faltungen und Stauchungen des zum Teil noch unverfestigten Sedimentmaterials bereits während der Abwärtsgleitung stattfanden und nicht, wie von der Kontraktionshypothese angenommen, während einer in letzter Konsequenz erfolgten „Auspressung“. Daraus schließt Haarmann, dass die in Hochgebirgen entblößten Kompressionstektogene im Anschluss an ihre Bildung eine Umkehr der Oszillationen erfahren haben, „die Tiefliegendes emporbrachten und Hochliegendes versenkten“1.

Wo eine Trogfüllung ohne Volltroggleitung stattfand, entstehen durch Heraushebung keine Hochgebirge, sondern möglicherweise Hochplateaus. Als Beispiel zitiert Haarmann das Colorado-Plateau.

Auf den ersten Blick erscheint eine solche Sichtweise bestrickend. Wo sonst finden wir eine so schöne Erklärung für herausgehobene Krustenteile mit beziehungsweise ohne gefalteten Schichten? Doch der Schein trügt. Was man Haarmann vor allem vorhalten muss, ist, dass er in seinen geotektonischen Überlegungen so gut wie gar nicht auf magmatische und metamorphe Gesteine und deren Bildungsbereiche Rücksicht nimmt. Für ihn scheint es nur Sedimentgesteine zu geben, die ihre Verformungen wohl meist in unverfestigtem Zustand erfahren haben. Verformung der Gesteine in der Unterkruste scheint für ihn kein Thema zu sein. Ein einfaches Oszillieren der Kruste gibt auch wenig Anlass dazu. Zwar möchte Haarmann die häufige Bogenform der Orogene damit erklären, dass diese die Form der Geotumoren nachbildet, doch hält diese Erklärung nicht stand. Zudem gibt es keine Veranlassung, die tausende Kilometer langen Orogengürtel, also ausgesprochen lineare Bildungen, mit mehr oder weniger arealen Erhebungen vom Typ der Tumoren in Verbindung zu bringen.

Trotz der Mängel seiner Hypothese, deren wir nur die wichtigsten aufgezeigt haben, hat Haarmann in mindestens drei Hinsichten recht behalten:
1. „Nicht hängen Kompression und Gebirgsbildung so zusammen, wie die Kontraktionisten meinen: dass durch Faltung Gebirge emporgepresst werden.“

2. Vertikale Bewegungen gewaltigen Ausmaßes, die sowohl Tektogene im Sinne Haarmanns (siehe Fußnote 1), als auch Tafelregionen erfassen können, sind belegt und also nicht zu leugnen.

3. In kleinerem Umfang sind auch gravitativ bedingte Gleitungen eine Realität.
„Unter Krustenwanderung und Krustendrehung wollen wir Bewegungen der Erdkruste relativ zu ihrer Unterlage verstehen…“ (Wegener, 1929, S. 157)
Von der Geologenwelt anfangs ignoriert war die mobilistische Hypothese der Kontinentverschiebung, auch noch als Drifthypothese bekannt, die von Alfred Wegener (1880-1930) aufgestellt wurde.

Ungeachtet der Reichhaltigkeit des zur Verfügung stehenden Ausgangsmaterials und der Komplexität des Gedankengerüsts, die einer Hypothese zugrunde liegen, steht am Anfang meist eine Beobachtung, die als Kristallisationskeim fungiert. Im Falle der Drifthypothese, später dann auch der Expansionshypothese und der Plattentektonik, war dieser Kristallisationskeim die Kongruenz der Küstenlinien, besser noch, der Kontinentalsockel von Afrika und Südamerika, die später unter dem Namen „Bullard-Fit“ bekannt wurde (Bullard et al., 1965). Wenngleich dieses Element an und für sich kein geologisches ist, hatte es doch weitreichende geotektonische Konsequenzen und beflügelte die Phantasie vieler Wissenschaftler. Es scheint, dass Francis Bacon (1561-1626) erstmals in der Literatur diese Beobachtung gemacht hat (Carey, 1988). Wegener war aber der Erste, der eine gut fundierte Hypothese darauf aufbaute und sie erstmals 1912 unter dem Titel „Die Entstehung der Kontinente“ veröffentlichte. Diese baute er im Laufe der Jahre weiter aus, um sie dann als Buch vorzustellen, dessen vierte umgearbeitete Auflage 1929 erschien - ein Jahr vor seinem Tode im Grönlandeis (Wegener, 1929).

Nach Wegener schwimmen die aus SiAl (die Elemente Si und Al in den Gesteinen vorherrschend) bestehenden Kontinente frei auf ihrer SiMa-Unterlage (Si und Mg vorherrschend) und können darauf Verschiebungen erleiden. „Die Kontinentalschollen müssen sich verschoben haben“, behauptet Wegener. „Südamerika muss neben Afrika gelegen und mit diesem eine einheitliche Kontinentalscholle gebildet haben, die sich in der Kreidezeit in zwei Teile spaltete, die dann wie die Stücke einer geborstenen Eisscholle im Wasser im Laufe der Jahrmillionen immer weiter voneinander wichen. Die Ränder dieser beiden Schollen sind noch heute auffallend kongruent.“ (Bild)
1) Unter Tektogen versteht Haarmann eine zwar verfaltete Struktur, die aber nicht unbedingt auch emporgehoben, also zum Orogen wurde.
Zur Erklärung der Entstehung von Orogengürteln nimmt Wegener zwei Arten von Drift an, die jeweils auf verschiedene Ursachen zurückgehen. Um Missverständnissen vorzubeugen, lasse ich Wegener selbst zu Worte kommen: „Zunächst haben wir zahlreiche Anzeichen für eine Gesamtkrustendrehung, die nach Westen gerichtet ist, also um eine mit der Rotationsachse übereinstimmende Achse vor sich geht.“ Das ist die so genannte Westdrift. Sie ist durch die Erdrotation und die „Kräfte der Gezeiten und Präzession“ bedingt. Dadurch wird u.a. verursacht, „dass kleine Schollen relativ zu großen nach Osten zurückbleiben, wie die Randkette von Ostasien, die westindischen Inseln, der Südantillenbogen zwischen Kap Horn und Grahamsland, ferner das Umbiegen spitzer Kontinentalenden nach Osten, wie der Schelfgebiete des Sundaarchipels und Floridas, der Südspitze Grönlands und Feuerlands, der Nordspitze Grahamslands, ferner das Abbrechen Ceylons, das östliche Abwandern Madagaskars von Afrika und Neuseelands von Australien; und weiter ist der Zusammenschub der Anden zu nennen.“ Letzterer wird als eine Art krustaler Bugwelle aufgefasst, die sich da hochtürmt, wo der Rand des amerikanischen Kontinents den Stillen Ozean zu überfahren beginnt und dessen Widerstand überwinden muss.

Neben der „Gesamtkrustenwanderung“ nach Westen findet noch eine „partielle Krustenwanderung“ statt, „namentlich eine solche zum Äquator hin gerichtete.“ Die Erklärung hierfür bietet sich, nach Wegener, in der Polfluchtkraft an. Und wiederum zitiere ich: „Das große tertiäre Faltensystem vom Atlas bis zum Himalaja bezeugt einen Zusammenschub in Richtung auf den damaligen Äquator, der nur durch Krustenwanderung über die Unterlage zustande kommen kann“ (Wegener, 1929).

Westdrift und Polflucht sollen also, laut Wegener, bevorzugt die hochliegenden, großen Kontinentalschollen erfassen und verfrachten, „aber in dem darunterliegenden Material entweder gar nicht oder doch schwächer wirken.“ So könnte man erklären, weshalb Kontinentalspäne, die sich vom Ostrande der Kontinente abgespalten haben (z.B. die Inselgirlanden am Ostrande Asiens und Australiens), um mit ihrem Untergrund („fixistisch!“) im Verbund zu bleiben, immer weiter hinter ihren „Mutterländern“ hinterherhinken.

Der Schönheitsfehler dabei ist: Weshalb musste Südamerika sich überhaupt von Afrika trennen, um die Drift nach Westen im Parforceritt anzutreten, da sie doch als Großscholle vereint weit besser vorangekommen wären? Nebenbei bemerkt, Afrika hat die größere Oberfläche und Masse, die angenommenen Kräfte würden an diesem Kontinent eigentlich besser greifen als an Südamerika! Doch statt eine Aufholjagd zu beginnen, bleibt Afrika immer weiter hinter Südamerika zurück, als ob es bloß ein Span wäre. Man kann sogar davon ausgehen, dass es sich überhaupt nicht über seinem Untergrund fortbewegt, denn es gibt nicht einmal ansatzweise eine „Bugwelle“ an seinem westlichen Rand. Das ist einer der wichtigsten Kritikpunkte, die man gegen die Drifthypothese vorbringen kann. Doch bei Weitem nicht der einzige.

Wegener hat es nicht vermocht, wohl auch wegen seines vorzeitigen Endes, diesen Widerspruch zu lösen. Andererseits betrachtete er sein SiMa nicht etwa als „stillen See“. Er ging davon aus, dass es nicht nur fließfähig sei, sondern tatsächlich fließe, was eigentlich einen weiteren Widerspruch zum uneingeschränkten Driften des SiAls darin ergibt. Was finden wir in seinem Buche dazu? „Wenn das Sima wirklich ein zähflüssiger Körper ist“, schreibt er, „so wäre es merkwürdig, wenn sich seine Fähigkeit zu strömen nur im Ausweichen vor den triftenden Sialschollen äußerte und nicht auch Strömungen selbständigeren Charakters aufträten. Die Karte gibt an einigen Stellen durch die Verzerrung früher anscheinend geradliniger Inselketten eine unmittelbare Anschauung von solchen mehr lokalen Strömungen des Simas…“ Örtlich muss Wegener sogar Wirbelströmungen in Erwägung ziehen, um Strukturformen wie diejenige der Fidschi-Inseln genetisch zu erklären. „Unsere Kenntnis dieser Dinge ist noch allzu lückenhaft“, gibt er ehrlicherweise zu.


d. Fließhypothese

Eine Hypothese, die wohl teilweise von der Drifthypothese angeregt wurde, ist die Fließhypothese des Geophysikers Gutenberg (1889-1960), die dieser im Jahre 1927 veröffentlicht hat. Andererseits hat sie auch einiges mit der Permanenzhypothese gemeinsam. Im Unterschied zu dieser ist sie aber eine mobilistische Hypothese. Sie nimmt an, dass das SiAl über das SiMa „fließt“ und sich stellenweise so stark ausdünnt, dass das SiMa an die Oberfläche treten kann (unter den Ozeanen). SiAl-Späne in verschiedenen Teilen des Weltozeans werden von Gutenberg als Überreste einer einst erdumfassenden Sial-Schicht interpretiert.


e. Oszillationshypothese

Nicht von „Fließen“, sondern womöglich von SiAl-„Flößen“ ist bei Haarmann (1882 – 1945) die Rede, zumindest in einem sehr frühen Stadium der Erdentwicklung. Damit könnte man ihn ohne Weiteres zu den Mobilisten rechnen, denn seine Sicht ist derjenigen Wegeners nicht unähnlich, möglicherweise sogar von diesem inspiriert, wenngleich die Drifthypothese als Ganzes von Haarmann strikt abgelehnt wurde. Denn Haarmann ist, mal abgesehen von seinem kurzen auf die Frühgeschichte der Erde bezogenen Seitensprung ins Lager der Mobilisten, ein überzeugter Fixist. 1930 veröffentlicht er seine Oszillationshypothese.

Er geht dabei von der stetigen Abkühlung und Erstarrung der Erde aus und fragt sich, was auf dieser Erde die offensichtlichen Bewegungen auslöst, deren Resultat u.a. in den Hochgebirgen äußerst beeindruckend in Form von Faltungen und Überschiebungen in Erscheinung tritt. Es liegt für Haarmann auf der Hand, dass das Gleichgewichtsstörungen sein müssen, die ihrerseits auf kosmisch bedingte Polverlagerungen und andere nicht näher erwähnte Gründe zurückgeführt werden könnten.

In den Anfangsphasen der erdgeschichtlichen Entwicklung, als es kaum zur Verfestigung erster Krustenfladen („Schilder“) gekommen war, erfolgte die Wiedererlangung des Gleichgewichts durch die oben erwähnte Verflößung der festen Krustenteile in die im Sinne dieser Wiederherstellung geforderte Richtung. Diese Entwicklungsstufe könnte als die mobilistische Phase in der Evolution der Kruste betrachtet werden.

Eine solche Art der Ausbalancierung musste aber mit dem stetigen Fortschreiten der Krustenerstarrung einer anderen Bewegungsart weichen, womit die fixistische Entwicklung der Kruste einsetzte. Nun bewegten sich nicht mehr die Oberteile der Kruste über ihren Untergrund, sondern die mobil (d.h. flüssig bzw. zähflüssig) gebliebenen Krustenteile strömten gewissermaßen unter der festen Kruste hinweg in die zur Ausbalancierung notwendige Richtung.

Mobiler Untergrund strömt also und sammelt sich bevorzugt unter gewissen Krustenabschnitten an. Gleichzeitig erfolgt in den zurückgebliebenen Bereichen eine Ausdünnung dieses Untergrundes. Solch eine Bewegung zieht ihrerseits an der Oberfläche Hebungen beziehungsweise Senkungen nach sich. Es entstehen die Haarmannschen Geotumore und Geodepressionen. Bewusst hat Haarmann diese neuen Termini eingeführt, weil ihm die alten Begriffe Geoantiklinale und Geosynklinale zu sehr von kontraktionistischen Vorstellungen belastet schienen. Weil Hebung und Senkung sich in ein und demselben Krustenabschnitt im Laufe der Zeit abwechselnd wiederholen, spricht Haarmann von Oszillationen (die Kruste „oszilliert“). Der ganze Prozess wird von ihm auch noch als Primärtektogenese aufgefasst, bei der selbstverständlich den vertikalen Bewegungen des Auf und Ab die vorherrschende Rolle zukommt. Von den Geotumoren gleiten die abgelagerten Sedimente aus der Schräglage, in die sie geraten, ab. Dabei unterscheidet Haarmann zwischen unbehinderter Freigleitung und Volltroggleitung, infolge deren die Geodepressionen mit den während des Transports gefalteten, verschuppten und zusammengeschobenen Sedimentpaketen aufgefüllt werden. Diese Bewegungen, die durch das Auf und Ab und die hierdurch in Aktion tretende Schwerkraft ausgelöst werden, ordnet Haarmann der Sekundärtektogenese zu. Die entstandenen Strukturen werden Kompressionstektogene genannt. (Bild)
Die einheitliche Kontinentalscholle der Erde vor der Spaltung in der Kreidezeit (aus Wegener, 1915). Die Kongruenz zwischen Afrika und Südamerika ist nicht zu übersehen.
Die Bildung eines Kompressionstektogens nach Haarmann (1930). Man sieht die Ausweichsströmung der Unterkruste, die die Geotumoren und Geodepressionen hervorruft (Primärtektogenese) und die gravitativ verursachte Abgleitung mit Faltung und Überschiebung (Sekundärtektogenese). Auf Höhe der Geotumoren tritt entlang von Spalten Magma zutage.
Alfred Wegener
(1880-1930)
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