Frank Winkelmann
Klaus Vogel – der „Globenmann“ aus Werdau
Gekürzte Fassung eines Vortrags beim 13. Salon bei Heiner & Manuela, Hamburg 24.05.2014:
„Warum die Erdexpansionstheorie so heftig umstritten ist“
Das erste Mal hörte ich von dieser sonderbaren Theorie der Erdexpansion als Jugendlicher, als ich Mitglied der Astronomie-AG einer Schulsternwarte war. Eines der älteren Mitglieder, ein Herr Volkmar Müller, hinterfragte ständig die gängigen astrophysikalischen Vorstellungen und etablierten Theorien. Er wies darauf hin, dass die Gezeitenreibung, ausgelöst durch unseren Mond, nicht ausreiche, um die Abbremsung der Erdrotation zu erklären. Nur eine sich ausdehnende Erde könne aufgrund des Pirouetten-Effektes zu einer Verlangsamung der Rotation und damit Verlängerung der Tageslänge über große Zeiträume führen. Außerdem fragte er regelmäßig in die Runde, ob wir eine Erklärung dafür hätten, dass die meisten Himmelskörper im Sonnensystem, von denen wir Satellitenaufnahmen haben, zwei geologisch unterschiedlich gestaltete Hemisphären aufwiesen.
Damals begriff ich die Tragweite solcher Fragen noch nicht, obwohl ich wusste, dass es in meiner Heimatstadt Werdau noch einen weiteren Vertreter dieser sonderbaren Theorie gab: einen Herrn Vogel, der in seiner Freizeit sogar Globen baute. Leider ging ich damals der Sache nicht weiter auf den Grund und verbuchte sie einstweilen unter der Rubrik „Außenseiterhypothese“.
Die Jahre vergingen, das politische System und der Staat, in dem wir hatten leben müssen, vergingen ebenfalls, neue Lebensperspektiven eröffneten sich.
Ein Zeitschriftenartikel über den damals 70jährigen Globenbauer Klaus Vogel fiel mir in die Hände, aber es vergingen noch einige Monate, bis ich an seiner Haustür klingelte.
Als ich das erste Mal mit scheuer Ehrfurcht die „heiligen Hallen“ des Globenbauers betrat, wich diese sehr schnell einer respektvollen Vertrautheit, denn ich wurde mit großer Herzlichkeit und Offenheit empfangen.
Von da an besuchte ich ihn regelmäßig, sobald ich in Werdau war. Bald schon wich auch das förmliche „Sie“ einem freundschaftlichen „Du“. Ich wurde bei diesen „Audienzen“, wie ich es nannte, von Klaus Vogel immer mehr mit den Einzelheiten der Theorie vertraut gemacht. Zu diesem Zeitpunkt, das war etwa im Jahr 2006, hatte er sich bereits seit über 30 Jahren mit der wachsenden Erde auseinandergesetzt.
Klaus Vogel ist ein diplomierter Bauingenieur, der bis zu seinem Ruhestand seinen Familienbetrieb, eine Beton-Fertigteilfirma, leitete. Vielleicht erklärt die Herkunft aus diesem Handwerk seine besondere Affinität zur Geologie und speziell zu seiner sehr praxisbetonten Herangehensweise. Außerdem stellte ich sehr schnell fest, dass er ein sehr genauer Beobachter und vorsichtiger Denker war, der jegliche vorschnelle Spekulationen ablehnte.
Klaus Vogel hatte in seiner Werdauer Gymnasialzeit das Glück, einen Lehrer gehabt zu haben, der wiederum Hilgenberg in Berlin kannte und der dem damaligen Schüler den Hinweis gab, dass die Kontinente, lückenlos aneinander passend, eine kleinere Erdkugel vollständig bedeckten. Dem stand die damals verbreitete Theorie der Erdkontraktion gegenüber. Selbst die Kontinentaldrift-Hypothese, die Alfred Wegener in den frühen 20er Jahren aufgestellt hatte und die, nebenbei bemerkt, über 30 Jahre brauchte, um sich gegen die vehemente Ablehnung von Seiten der Fachgelehrten durchzusetzen, kannte kaum jemand – Vogels Lehrer allerdings kannte sie.
Klaus Vogel begann die Sache zu interessieren. Aus einem Atlas kopierte er sich die bekannten Erdteile und setzte sie auf einem kleineren Globus lückenlos zusammen. Die Ur-Erde war geboren.
Wie er glaubhaft versicherte, hat er sich erst nach dieser Entdeckung intensiver mit dieser Thematik beschäftigt und festgestellt, dass es bereits Vorgänger und auch Mitstreiter gab.
Klaus Vogels Globen weichen in vielen Details von den Hilgenbergschen Vorstellungen ab. Er begründete das damit, dass ihm modernere und genauere geologische Karten zur Verfügung standen, die Zusammenhänge aufzeigten, von denen Hilgenberg nichts wissen konnte.
Klaus Vogel pflegte einen regen Briefwechsel mit den wichtigsten internationalen Vertretern der Expansionstheorie. Ende der 80er Jahre erhielt er dann vom damals bedeutendsten Theoretiker, Samuel Warren Carey eine Einladung nach Australien.
Klaus Vogel war entschlossen zu fahren, auch allen Widrigkeiten des SED-Staates zum Trotz. Reisen ins „kapitalistische Ausland“ waren ja bekanntlich nur bestimmten sogenannten „Reisekadern“, also staatskonformen Leuten mit SED-Mitgliedschaft, möglich. Klaus Vogel setzte alle Räder in Bewegung, um zu Carey fahren zu können. Ein träger bürokratischer Apparat musste überzeugt werden, dass es eine Notwendigkeit gab, den Diplom-Ingenieur Klaus Vogel aus Werdau, der absonderliche Globen baute, zu einem Geowissenschaftler ins ferne kapitalistische Australien zu schicken. Kein einfaches Unterfangen.
Vogel hatte Glück oder sollte man sagen einflussreiche Gönner? Ein Geologie-Professor in Halle/ Saale, ebenfalls ein heimlicher Vertreter der Expansionstheorie, setzte sich letztendlich für Klaus Vogel ein, indem er in einer schriftlichen Stellungnahme betonte, dass die Reise des Dipl-Ing. Klaus Vogel nach Australien ein wichtiger Beitrag für das Ansehen der Geowissenschaften der DDR auf internationalem Parkett darstelle und Herr Vogel unbedingt fahren müsse. Das Berliner Ministerium genehmigte daraufhin die Reise. Allerdings hatte die oberste Behörde nicht mit der Hartnäckigkeit und Starrsinnigkeit der Werdauer Passstelle gerechnet, die letztendlich die Reiseunterlagen ausstellen musste. Obwohl die Genehmigung von Berlin vorlag, wollte man Herrn Vogel aus fadenscheinigen Gründen nicht reisen lassen. Der ansonsten sehr ruhige und sehr zurückhaltend auftretende Mann begriff in dieser Situation, dass er einen anderen Tonfall anschlagen musste, wenn er die Reise antreten wollte. Er nahm all seinen Mut zusammen, baute sich vor dem sozialistischen Beamten auf und drohte damit, dass die Ablehnung seiner Reise, die ja schon von Berlin genehmigt war, dem Ansehen der DDR sehr schaden werde und ob dies der Werdauer Beamte riskieren möchte.
Das Wunder geschah, der Mann gab nach und Vogel reiste nach Australien.
Hier wurde er sehr freundschaftlich von Carey und dessen Frau empfangen. Man muss ja wissen, dass man damals nur 15 Ostmark in sogenannte „konvertierbare“ Währung umtauschen konnte. Vogel war also finanziell völlig von Carey abhängig, der alle Spesen übernahm, ohne ein Wort darüber zu verlieren.
Das Foto (unten) stammt aus dem Buch von David Oldroyd „Die Biographie der Erde“, Verlag 2001, einem Klassiker über die Geschichte der Geowissenschaften.
Neben öffentlichen Vorträgen in Schulen, die der Verbreitung der Expansionstheorie dienten, lieferte Klaus Vogel auch regelmäßig Beiträge auf den internationalen Kolloquien der Erdexpansionisten. Dort war er ein wichtiger und hoch angesehener Redner.
Hier sehen wir ihn auf einem Gruppenfoto während der Konferenz in Breslau 1994, noch neben Carey, der im Jahre 2002 verstarb.
Der Globenmann in Werdau wurde ein so gefragter Gesprächspartner, dass sich in den folgenden Jahren viele Vertreter der internationalen „Expansionisten-Gemeinde“ bei ihm zu Hause in Werdau die Klinke in die Hand gaben.
Klaus Vogel mit einem seiner legendären gläsernen Globen. Das Foto entstand während der Dreharbeiten zum ZDF/ARTE-Film über die Erdexpansion. Mit freundl. Genehmigung von Franz Fitzke, 2007
Klaus Vogel hier mit David Oldroyd und Jan Koziar.